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Liebe E-Mail...

Weißt Du noch, wie Du am 3. August 1984 zur Welt kamst? Als der Wissenschaftler Werner Zorn und der Wirtschafts-Ingenieur Michael Rotert – beide heute fast Rentner – Dich das allererste Mal über den großen Teich düsten? So einfach ffftt... in Sekundenschnelle. Unsere Briefe brauchten selbst innerhalb Deutschlands damals noch zwei bis drei Tage. Nach Amerika fünf. Und per Schiff 30. Handgeschrieben zwar, aber Stand heute eigentlich schon uralt, als sie ankamen. Mei, warst Du eine geile Welt-Sensation! Kein Wunder: Du warst herrlich jung, blitzschnell, und hast Dich  – auch in Sekundenschnelle – immer sofort auf neue Situationen eingestellt. Sogar korrigiert hast Du Dich. Und alles war im Nu (wieder) okay. Richtig menschlich. So, wie wir es wollten. Und Dich deswegen heute noch mögen. Oder erst recht...

Okay, schon 13 Jahre vorher hatten Dich amerikanische Wissenschaftler schon mal genutzt bzw. eher benutzt – aber nur intern. Die diskutierten damals noch, wie sie Dich „einkleiden“ sollten. Aber Dein „Klammer-Affe“ hat sich irgendwie gehalten. Alleine das ist affengeil...!

1989 dann hast Du einen tollen 5. Geburtstag gefeiert: Dein Kinder- und Jugendfreund, dieser „Internet“, und Du, ihr wart ja eine neue Generation, und habt derart geschmust, dass die Eltern schon unruhig wurden. Was hatten sie da in die Welt gesetzt? Schon waren die ersten Gratulanten da, aber die wollten eigentlich nichts schenken, sondern eher was haben: Onlinedienste nannten die sich. Schmarotzer! Aber jeder wollte Euch, weil ihr  eben „in“ wart. Wie heute die Smartphones, die manchmal so un-smart nerven können – und unsere Kids eigentlich eher verblöden.

Aber sorry, wir wollen ja Dich feiern. Ende der 80er konnte sich Dich auch schon jeder leisten. Mit eigener Adresse. Heute hat jeder Deutsche im Schnitt sogar drei! Aber zurück ins alte Jahrtausend: War das ein Hit, als Dich Hollywood 1998 in „E-Mail für Dich“ entdeckte!  Der Tom Hanks flippte noch mehr aus als die Meg Ryan. Elektronische Liebes-Post. Ja, wie süß war das denn?

Sauer stieß uns allerdings Deine blöde Krankheit auf. Dein Virus, der immer mal hartnäckig und tückisch wieder kommt, geht uns ehrlich gesagt auf den S... Vielleicht hast Du deswegen noch keinen abgekriegt, so rein Ehe-technisch, meine ich. Du bist immer noch alleine (auch wenn Dir ab 2015 „Messenger-Systeme“ den Rang ablaufen wollen), aber Du bist immer noch derart begehrt und begehrenswert – der Hammer! Und wie hast Du Dich verändert: Anfangs bist Du noch pummelig, eigentlich eher fett wie eine Waschmaschine durch die Luft gedüst. Fast hexen-artig. Aber immerhin artig. Und heute? Gehst du rank und schlank quasi überall durch. Manchmal durch und durch. Je nach Message, wie man das neu-deutsch ja wohl sagt. Dabei warst Du als Monster teurer als heute als Miss, die dank der kleinen Mini-Mickey-Mouse-Maschinen im wahrsten Sinne des Wortes aus der Hand frisst. Und bei uns Handy heißen, wobei das eine rein deutsche „Miss-Findung“ ist. Weltweit lebst du ja immer mehr in „mobiles“, sprich: mobeils! Und immmerhin bei 17 % aller Deutschen. Mindestens 16 Mal wöchentlich, und zehn Mal monatlich. Privat!

In den Büros dagegen bist Du der Boss: 191,4 Milliarden Mal – also mit neun Nullern – wirst Du tagtäglich auf Deine kurze Reise geschickt. Von 2,5 Milliarden Menschen, d.h.: Du wirst pro Büro bis zu 90 Mal täglich „zur Post gebracht“. Postblitz. Pardon: P(r)otzblitz! Aber, liebe E-Mail, wie das bei Freuden-Feiern so ist, gibt es im Leben eines Jubilars halt auch Dinge, die an-, wenn nicht sogar abstoßen: Deine Scheiß-Spams z.B. braucht kein Mail-Mensch! Weißt Du eigentlich, dass daraus weltweit ein Schaden von 10 Milliarden Euros entsteht? Weil 95 % all Deiner Briefe eigentlich – pardon – für den A... sind. Papier-Post würde wortlos über die Tischkante in den Papierkorb abstürzen. Aber Deinen Mist überhaupt erst mal zu orten und zu werten, das dauert vielleicht! Da gehen Millionen Bürostunden drauf. Ganz dreist sind ja die Un-Menschen, die uns über Dich anpumpen wollen. So nach dem Motto: Ich habe geerbt. Oder: Oma verstarb... Heißes Eisen, das wir nie anfassen, sprich öffnen, soll(t)en...!

Dafür ist es schon irgendwie nett, dass durch Dich, liebe E-Mail, wieder zwischenmenschlich viel mehr Nettes gewünscht wird. Zum Beispiel zu Weihnachten, besonders aber  Neujahr. Okay, manche nutzen Dich einfach für Mehrfach-Menschen (die alle das Gleiche lesen müssen) – wenig einfallsreich, aber immerhin persönlich –  dank Dir als Post-Bote. Du lieferst ja auch rund um die Uhr. Gigantisch, dass Du unsere Liebsten im Westen schon morgens in der gleichen Sekunde wecken kannst, wenn wir im Osten gleich zu Bett gehen. Jeder Dritte der 8,5 Milliarden auf unserem Erdball mag Dich. Und ich erst...!

Liebe E-Mail, darf ich Dir noch etwas verraten? Unser Senior-Chef, der Samir, hat zwar einen Doktor, aber schreibt ungern. Ich glaube, der hat schon tausend Jahre keinen Brief mehr mit Tinte geschrieben. Damit ist er ja nun wirklich nicht alleine... aber weißt Du was? Als Du ungefähr 20 warst, hat er von Dir gehört, von Deinen Vorzügen, Deiner Attraktivität und so. Und dann mit seinen Pitschepatsche-Fingern so lange heimlich geübt, bis er mir und seinen weltweiten Verwandten eigene Briefe schrieb. So süß! Jetzt schickt er mir immer Witze, und ich ihm. Manche sind versaut, aber Du bist ja sowas von verschwiegen! Danke! Okay, seine Orthographie lassen wir mal... aber er schreibt immerhin selbst! Und engagiert Dich dann immer – klick – mit einem Schmunzeln! Und immer öfter. Dabei geht er stramm auf die 80 zu...!

Liebes Geburtstagskind, Ich kann ohne Dich nicht mehr leben – und will Dich nie mehr missen. Schreib mir doch mal! Du kriegst auch wirklich eine Antwort:

 

 

conny@konzack.net

 

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